Champagne für Fortgeschrittene
Wie man der Inflation ein Schnippchen schlägt
Ich trinke gerne nach der Arbeit ein gut gezapftes Pils. Aber zum Feiern oder bei einem schönen Essen starte ich mit Bubbles von der Traube, bevorzugt von Chardonnay und/oder Pinot Noir aus der Champagne, wenn ich nicht gerade dem brandheißen österreichischen Sektwunder nachspüre. Mit der „gelben Witwe“, wie wir den Veuve Clicquot Brut in jenen Zeiten nannten, da wir ihn noch für etwas Besonderes hielten, kann man mich nicht mehr locken. Der schmeckt für mich zu sehr nach „Everybody’s Darling“, bei allem Respekt für den Erfolg des wohl bekanntesten Weinlabels der Welt, das man in allen Airport-Shops und besseren Supermärkten rund um den Globus aus dem Regal lachen sieht. „Erfolgreiche Marken sind das komprimierte Resultat unternehmerischer Spitzenleistungen“, lautet ein Kernsatz der Markentheorie, und den haben die Spitzenhäuser der Champagne auf der Basis einer genialen Gebietsstrategie betriebswirtschaftlich perfekt umgesetzt.
Bei Champagner steht der Moët-Hennessy-Konzern (Moët & Chandon, Dom Pérignon, Mercier, Ruinart, Veuve Clicquot, Krug etc.) mit 2.500 MitarbeiterInnen, einem Volumen von jährlich 65 Millionen Flaschen und 2,2 Milliarden Euro Umsatz an der Spitze (Quelle: bolddata.nl). Damit ist der Leader mehr als zehn Mal so groß wie Pommery, Nicolas Feuillatte, Roederer oder Taittinger. Das sind an sich schon beeindruckende Zahlen, aber für mich ist die Nachricht, dass die Firma allein von seinem Flaggschiff Dom Pérignon in einem guten Jahr kolportierte fünf Millionen Flaschen in Spitzenqualität herstellt, das noch größere Kino. Wer mit einem normalen „Dömchen“ um gute 200 Euro nicht das Auslangen findet, kann für das Doppelte auf den Plénitude 2 („P2“) umsteigen, die reifere Variante mit Grundweinen aus zwei Jahrzehnten. Nur wer 4.000 Euro locker macht, hat Chancen auf eine der wenigen Flaschen des „P3“ mit Grundweinen aus drei Jahrzehnten, den sogar nur die wenigsten Top-Sommeliers jemals zu kosten bekommen. Immerhin haben die großen Häuser auch Interessantes zu vertretbaren Preisen zu bieten, zum Beispiel charaktervolle Jahrgangschampagner wie die Grand Vintage Collection von Moët & Chandon.
Die Kraft der großen Marken liegt neben der verlässlichen Qualität im hohen Bekanntheitsgrad und im wertigen Image. Die Flasche mit dem berühmten Etikett verfehlt kaum je ihre Wirkung, egal ob als Geschenk oder bei Tisch. Daher sagen Sie niemals „Nein“, wenn Sie zu einer tollen Verkostung eingeladen werden, weil ein Mäzen seine Sammlerstücke auch gerne mit weniger betuchten Leuten teilt, die solche Weine zu schätzen wissen, auch wenn Sie selbst sie sich nicht leisten könnten. Aber statt über die sicherlich fragwürdigen Preisentwicklungen bei den Ikonen herzuziehen, ist es besser, seine Energie in die Suche nach den lohnenswertesten Alternativen der eigenen Kragenweite zu stecken.
Duval-Leroy zum Beispiel produziert insgesamt nur die Hälfte der Menge von Dom Pérignon, ist aber wegen seiner unvergleichlichen Finesse der gar nicht mehr so geheime Favorit vieler französischer Sommeliers. Über 250 Sternerestaurants haben die von Chardonnay aus den besten Lagen der Côte des Blancs geprägten Cuvées auf der Karte. Von der einfachsten Brut Réserve, die ich gerne bei Familienfeiern aus der Magnum ausschenke, bis zur Cuvée Femme de Champagne Brut Nature 2002, dem höchstprämierten Champagner des vergangenen Jahres für die anspruchsvollsten Profis, ist dieses Produktportfolio in der jeweiligen Preisklasse schwer zu überbieten.
Seit ich 1976 im Keller von Henri Goutorbe die erste Champagner- Verkostung meines Lebens absolvierte, mag ich bis heute die ganz anderen, von Pinot Noir geprägten Cuvées dieser Pionierfamilie der selbstvermarktenden Winzer, die keine 300.000 Flaschen produziert, darunter die Spitzencuvée „Special Club“. Was damals recht selten war, macht heute Schule: Immer mehr kleine Winzermarken, neudeutsch „Grower Champagnes“, bringen frischen Wind in die altehrwürdige Gegend um Reims und sorgen auch dort, wo noch lange Zeit Ertragsoptimierung unter Einsatz des gesamten Arsenals an Agrarchemie das Motto war, für frischen ökologischen Wind. Einer der ersten Revoluzzer war Jacques Selosse, der auch Laure Nicaise von der Neun-Hektar-Domäne Louis Nicaise nachhaltig beeinflusste. Die Bio-Bewegung nimmt heute in der Champagne erst so richtig Fahrt auf und erfasst bereits die ersten großen Häuser. Da hat der familiäre Demeter-Betrieb Lelarge-Pugeot, der seit 2000 auf Herbizide verzichtet und vor zehn Jahren den Bio-Weg beschritt, wohl die Nase vorn.
Zugegeben: Manchmal braucht es die bekannte Marke, um schon mit dem Zauber der Montur richtig Eindruck zu schinden. Aber die beste Qualität fürs Geld bekommt man beim Champagner unter Umgehung der enormen Marketingbudgets der Giganten, die sich im Verkaufspreis spürbar bemerkbar machen. So kann man eben auch beim Prestige-Produkt Champagner mit Köpfchen der Inflation ein Schnippchen schlagen.
Ihr Willi Klinger