Gesundschrumpfung im Bordeaux
Reife Jahrgänge jetzt lukrativ
Autor: Willi Klinger
Es lässt sich nicht mehr länger leugnen: Bordeaux ist wieder einmal das Sorgenkind der französischen Weinwirtschaft geworden. Sicherlich haben auch andere Weingegenden ihre Probleme, aber wenn Bordeaux hustet, ist die Grande Nation des Weines krank – und das macht Schlagzeilen. Krisen gab es hier an der Gironde schon oft, vor allem durch Kriege und wirtschaftliche Schwierigkeiten. Aber diesmal tut sich strukturelles Ungemach auf, das wohl nicht so schnell zu lösen sein wird. Die Ursachen sind schnell ausgemacht: Die verfehlte Preispolitik mündet in einer Überproduktion bei sinkender Nachfrage. Es wäre nicht die erste Blase dieser Art, die im Lauf der Geschichte geplatzt ist.
Aber um zu verstehen, wie Bordeaux tickt, muss man etwas näher hinsehen. Die bekannten Weingüter, die allesamt als Châteaus bezeichnet werden, egal ob sie ein Schlossgebäude haben oder nicht, wurden im 17. und 18. Jahrhundert von reichen Adeligen oder von durch Reichtum geadelten Bürgerfamilien gegründet, die sich nicht um so profane Angelegenheiten wie den Vertrieb kümmern wollten. Diesen erledigten die Händler (Négociants) am Place de Bordeaux, mit denen die noblen Herrschaften wiederum nicht direkt zu tun haben wollten. Somit übernahmen privilegierte Power-Broker, die „Courtiers“, die Vermittlerfunktion. Die Négociants entwickelten die Märkte: vorerst England und Belgien, später die ganze Welt. Der Handel war es auch, der unter Federführung der Handelskammer von Bordeaux 1855 auf Anordnung des Kaisers Napoleon III. die legendäre Klassifikation nach den damaligen Verkaufspreisen und dem Prestige der Châteaus erstellte. Dieses starre System der Einteilung in fünf Klassen ist im Médoc bis heute in Kraft und wurde nur einmal geändert, nämlich als Château Mouton-Rothschild 1973 durch die Genialität und die Strahlkraft des Barons Philippe de Rothschild vom Deuxième (2.) zum Premier (1.) Grand Cru Classé aufgewertet wurde.
Die Elite der Château-Besitzer hat in der Geschichte mehrmals – manche sagen aus Gier, Hybris oder Weltfremdheit – die Lage falsch eingeschätzt und die Preise maßlos überzogen: Die mäßigen Jahrgänge 1984, 1997 und 2021 – um nur einige zu nennen – wurden ganz einfach zu teuer angeboten und die Händler wurden gezwungen, sie trotzdem zu kaufen. Das funktioniert heute nicht mehr, denn das übliche En-Primeur-Geschäft, bei dem früher ein guter Teil der Ernte 12 bis 18 Monate vor der Auslieferung zu vergünstigten Preisen verkauft wurde, kam ab 2021 faktisch zum Erliegen. Wer kauft heute „en primeur“, wenn die Subskriptionspreise der Weine zu hoch sind und in der Folge eher fallen als steigen? Damit hat sich eine neue Taktik des Bordeauxkaufs etabliert, bei welcher der Fokus stärker auf reiferen Jahrgängen liegt. Oft sind diese nun „ein besserer Deal“ als die „Futures“.
Und doch sind das eher Luxusprobleme, denn das wahre Elend der Gegend trifft die über 5.000 Weingüter außerhalb der Klassifikation, unter denen es welche gibt, die hervorragende Weine zu sehr fairen Preisen machen. Während der Boom-Jahre zwischen 1990 und 2004 war die Rebfläche in Bordeaux von 114.000 auf 124.000 Hektar gestiegen. Heute werden Rodungsprämien gezahlt, um Weingärten stillzulegen. So soll die Rebfläche Ende des Jahres bereits unter 100.000 Hektar betragen.
Die gute Nachricht ist: Wenn derzeit auch kein Wachstum im Weinkonsum erwartbar ist, wird die Weinkultur trotzdem weiter ihren Stellenwert haben. Es wird zwar weniger Menge getrunken, aber eine gute Flasche zum Essen – auch Rotwein – wird wieder mehr Anhänger: innen finden. Und da sind gerade in den vergangenen Jahren auch bei Bordeaux vernünftige Entwicklungen eingetreten.
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Bordeaux 2022: Sie haben ihre Lektion gelernt
Am 9. September 2022 fuhr ich mit der Fähre von Royan über die Gironde-Mündung ins Médoc, wo die Weinernte voll im Gang war. Wir kamen von einer heißen Urlaubswoche in der südlichen Bretagne und wollten auf dem Weg zu Gérard Bertrand im Languedoc in Bordeaux Zwischenstation machen. Auf dem Weg in die Stadt stibitzte ich bei Cos d’Estournel, Pichon-Lalande und Ducru-Beaucaillou jeweils eine Beere, um sie zu kosten. Sie waren klein, eher dickschalig, aber vollreif, wie auch die Kerne; keine Spur von grünen Noten, aber dafür von einer geschmacklichen Konzentration, die ich nie vergessen werde.
Und, was mich total überraschte: Der Saft schmeckte süß, aber gleichzeitig so frisch, wie ich es in diesem Hitzejahrgang nicht erwartet hätte. Offenbar hatten die Winzer im Umgang mit dem Klimawandel ihre Lektion gelernt. Und so kam es, dass ich mir doch einige Flaschen vom großen Bordeaux-Jahrgang 2022 kaufte, obwohl ich mir 2020 geschworen hatte, dass ich in meinem Alter mit der Bordeaux-Subskription Schluss machen würde. Nun, die Bordeaux-Subskription ist im Gegensatz zu früher nur mehr in seltenen Fällen ein lukratives Geschäft, aber dafür kann man wegen vorläufig ausbleibender Preissteigerungen gut auf feine Jahrgänge zurückgreifen. Und einer der besten und fruchtigsten darunter ist der 2022er.
Bordeaux 2022 – unsere Tipps
Empfehlungen
„Es ist klar, dass die besten 2022er aus Bordeaux jene Weine sind, die jeder gerne im Glas hätte, egal was sie kosten“, sagt der Parker-Chefverkoster William Kelley, der in Bordeaux auch schon mehr als einmal wegen offener Kritik angeeckt ist. Nun, weil es für WEIN & CO Kund:innen sehr oft auf ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis ankommt, dürfen wir Ihnen drei Weine unter 35 Euro vorstellen, die wegen ihrer gepflegten alten Weingärten und der Position innerhalb ihrer Appellation in diesem warmen Spitzenjahrgang perfekt performt haben.
Der Château Haut Peyrat aus Cadillac Côtes de Bordeaux ist für mich in den vergangenen zehn Jahren der beste Bordeaux unter 20 Euro überhaupt. Ich kenne und liebe sein Terroir in der ehemaligen „Premieres Côtes de Bordeaux“-Appellation seit meiner Studienzeit.
Sogar aus den prestigereicheren Herkünften Saint-Émilion und Pomerol lassen sich echte Schnäppchen wie Château Tour de Pressac und Château Plince finden, die auch punktemäßig mit den teureren Etiketten mithalten können.
Ein Spitzenjahrgang wie 2022 rechtfertigt aber auch kostspieligere Investments, wobei der Grand-Puy-Lacoste Jahr für Jahr trotz seines Preises unter 100 Euro konstant unter den besten Pauillacs zu finden ist. Er nimmt die Herausforderung seiner Nachbarn Clerc Milon und Le Petit Mouton des legendären Hauses Philippe de Rothschild jederzeit an. Manche vermerken, dass die beiden tief strukturierten Pauillacs seit der En-Primeur-Verkostung bereits an Volumen zugelegt haben.
Als einer der gelungensten Weine des Jahrgangs wird von nahezu allen Fachleuten Château Palmer gefeiert, weil er mit seiner sinnlichen Fülle hautnah an den großen Château Margaux herankommt. Das erinnert frappant an das Duell beim historischen Jahrgang 1983.
Eine Beobachtung zum Jahrgang 2022 sei noch angefügt: Durch den trockenen Witterungsverlauf gab es praktisch keine Rebkrankheiten und blitzsauberes Traubenmaterial. Nach kleineren wohltuenden Regenfällen im August folgte eine lange sonnige Periode, sodass bei der Ernte keinerlei Stress entstand. Somit war der Jahrgang auch für Biobetriebe ideal, weil kaum Spritzmittel eingesetzt werden mussten, was sehr selten vorkommt.