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König Alkohol

König Alkohol

Fluch und Segen der Seele des Weins

Schwarz-weiß Portrait eines Mannes mit Brille im Anzug, auf hellem Hintergrund.

Die Vorstellung von Wein ohne Alkohol hat durchaus Charme, wenn wir unsere Fastenwochen machen und dennoch nicht ganz auf unser Lieblingsgetränk verzichten wollen. Es schaut auch wirklich verlockend aus, einen alkoholfreien Wein aus einer edlen Flasche mit einem schicken Etikett in feine Gläser einzuschenken und gute Miene zum bösen Entsagungsritual zu machen. Den meisten WeintrinkerInnen graut jedoch schon beim Klang der technischen Bezeichnung „entalkoholisierter Wein“, ein Verdacht, der sich in der Regel beim ersten Schluck mit ungewollter Ernüchterung bestätigt: Was uns im Antrunk so schön aromatisch begrüßt, entpuppt sich am Gaumen als flacher Fruchtler und fällt spätestens im Abgang in sich zusammen wie ein Kartenhaus. Im Gegensatz zu alkoholfreien Bieren, die in den besten Fällen näher an das Original herankommen, sind Weine ohne Alkohol in der Regel Getränke ohne Rückgrat, wenn man von ganz wenigen akzeptablen Beispielen – meist weiß oder schäumend – absieht.

Uns gefallen in dieser Kategorie immerhin die Produkte von Pierre Chavin („Pierre Zéro“), von der Familia Torres („Natureo“) und ganz aktuell besonders der Schaumwein aus alkoholfreiem Riesling sowie der alkoholfreie Grauburgunder von St. Antony aus Rheinhessen. Als alkoholfreie Aperitif-Varianten schaffen der Frucht-Secco und die Sparkling Juicy Teas von Van Nahmen sogar den Sprung in die Sternegastronomie, wo die Vorreiter bereits alkoholfreie Food & Drink Pairings zum großen Menü anbieten. Damit auch die Gin-Fangemeinde standesgemäß fastenbrechen kann, gibt es als Absacker den alkoholfreien Gin von Zirbin aus Tirol – Willkommen im Detox-Paradies!

Und doch fehlt bei einem Gourmetmenü ohne Wein das gewisse Etwas. Man kann es drehen und wenden, wie man will: König Alkohol ist die Seele des Weins und macht ihn erst zum verdauungsfördernden und genussreichen Gipfel aller Essensbegleiter, sofern das liebe Ethanol von anderen wichtigen Komponenten wie Säure, Zucker, Farb- und Gerbstoffen und vor allem Aromen im richtigen Maß umspielt wird. Guter Wein braucht also Alkohol, aber wieviel davon, wird gegenwärtig in einschlägigen Foren und Zirkeln mit apodiktischem Sendungsbewusstsein diskutiert. Die einen schwören auf schlanke, leichte Weine und holen zum Rundumschlag gegen alles über 13 Volumsprozent aus. Andere wiederum stehen auf kräftige Brummer und wollen laut Eigendefinition beim Wein „auch was g’spürn“. Dabei ist der analytische Wert allein nur wenig aussagekräftig, wie uns kürzlich anhand eines hellen, filigran und doch finessenreich-komplex wirkenden roten Burgunders bewusst wurde. Erst der Blick auf das Etikett verriet den hohen Alkoholgehalt von 15 Volumsprozent. Keiner in der erfahrenen Tafelrunde hätte das aus dem Geschmackserlebnis auch nur ansatzweise geschlossen.

Es geht beim Wein also um die Balance. Das Gleiche gilt für das Weintrinken. Angenommen also, wir hätten unseren Fastenmonat mit dem festen Vorsatz hinter uns gebracht, ab nun den heimtückischen Jo-Jo-Effekt zu vermeiden und nicht gleich wieder voll drauflos zu futtern und zu zechen. Ist es nun das erste kühle Pils, ein grüngelb im Glas blitzender, duftiger Weißer oder ein satter, dichter Rotwein zum Steak medium-rare, die nach anfänglichen Zweifeln – brauch ich das überhaupt? – ein Heer von wohltuenden Neurotransmittern in das System schicken, um uns sirenengleich vorzugaukeln, dass jetzt endlich unsere Welt wieder heil und schön ist? Spätestens an diesem Punkt könnte man lernen, Maß zu halten und den alten weisen Spruch zu beherzigen, der da heißt: „Wenn es am besten schmeckt, soll man aufhören“. Mit einer großen Portion Selbstdisziplin und einem kleinen Gläschen Wein zum Essen wäre man sicher nicht gleich am Abgrund. An diesem Punkt denken viele an das berühmte Zitat von Paracelsus: „Alle Dinge sind Gift, und nichts ist ohne Gift. Allein die Dosis macht, dass ein Ding kein Gift ist.“ Aber wie das Amen im Gebet setzt an dieser Stelle unser verlässlicher Verdrängungsmechanismus das heimtückische Genusskarussell erneut in Gang. Man kann nicht nur schuften. Das bisschen Schlemmen haben wir uns nun wirklich verdient. Man gönnt sich doch sonst nichts!

Damit stellt sich die Frage, was wir uns demnächst einschenken. Nun, da wir schon die Vorsätze beiseite geschoben haben, könnten wir die Ösi-Vorurteile gleich mitschubladisieren und das nächste Mittagessen mit einem schönen, feinherben deutschen Riesling Kabinett einleiten. Zum Beispiel mit Dönnhoffs Niederhäuser Klamm mit seiner straffen Porphyr-Mineralität, von zartfruchtiger Süße raffiniert umspielt. Ich wette, von diesem Nektar brauchen Sie ein zweites Glas, was bei 9 Volumsprozent Alkoholgehalt eine lässliche Sünde wäre. Den gewaltigen Grünen Veltliner Smaragd 2021 aus der Ried Achleiten der Domäne Wachau wird man wohl in kleineren Schlucken nippen, damit man seine tiefe Struktur, seinen wuchtigen Körper und seine endlose Länge überhaupt richtig erfassen kann und klar wird, dass auch ein Weißwein mit 14 Volumsprozent so etwas wie Eleganz ausstrahlen kann, wenn er richtig proportioniert ist.

Rarer als ein wurmfreier Steinpilz sind heutzutage charaktervolle, aber leichte Rotweine. Die Winzer glauben, dass mit solchen kein Staat zu machen ist und frisieren ihre Gewächse auf wie ein halbstarker Youngster seinen gebrauchten BMW. Solchen Erwartungshaltungen wird man mit dem leichtfüßig, straff und ruhig fließenden Morgon der Domaine des Terres Dorées kaum gerecht. Dieser herrliche Beaujolais Cru erschließt sich vielleicht erst beim zweiten Glas oder bei ein paar Jährchen Kosterfahrung mehr. Im Ernstfall, zum Beispiel zu einem kräftig gewürzten Cassoulet oder einem pikanten Pfeffersteak, empfiehlt sich dann doch die große Kanone: Zum Beispiel der südfranzösische „La Clape“ von Château Hospitalet vom Jahrgang 2020. Der Wein aus Syrah, Grenache und Mourvèdre ist athletisch, muskulös und gleichzeitig federnd, das Ebenbild seines Erzeugers Gérard Bertrand, Frankreichs hünenhafter Rugby-Legende mit einem Faible für die biodynamischen Prinzipien von Rudolf Steiner. Es muss schon vieles zusammenpassen, dass ein Wein mit 15 Volumsprozent so viel lebendige Trinkfreude verbreitet.

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