Auf eurem Weingut treffen diverse Einflüsse aufeinander: Alwin, du hast auf deinen vielen Reisen einiges an Weinwissen mitgenommen und bist der Nachfolger des altehrwürdigen Kamptaler Weinguts. Stefanie, du stammst aus einer rheinhessischen Winzerfamilie und hast dort bereits viel Weinerfahrung gesammelt, bevor du nach Österreich gekommen bist. Was davon schmeckt man besonders, wenn man sich ein Glas Jurtschitsch-Wein genehmigt?
Alwin: Bei allen unseren Weinen – egal ob das jetzt Neuinterpretationen der großen Kamptaler Lagen sind oder Naturweine – merkt man, dass sie die Geschichte des Kamptals erzählen, aber auch von den Jahren, die wir uns „angetrunken“ haben. Doch auch, wenn Stefanie aus Rheinhessen ist und ich aus dem Kamptal und wir viel gereist sind, muss das nicht heißen, dass die Weine nach Rheinhessen schmecken oder nach Neuseeland oder Frankreich. Ich glaube, gerade wenn man viel von der Welt gesehen hat, wird einem bewusst, was man daheim hat. Worum es uns im Endeffekt geht, ist die Frage: Wie können wir Weine machen, die so „kamptalerisch“ sind wie nur möglich, und die auf der ganzen Welt nicht zu kopieren sind? Wir haben dabei versucht, uns von den unterschiedlichen Strömungen nicht beirren zu lassen, sondern stattdessen mit simplem, altem Bauernwissen sowie unserem Forschungstrieb geschaut, wie das Kamptal im Hier und Jetzt schmeckt. Um das in die Flasche zu bringen, muss man wissen, was in der Vergangenheit passiert ist, aber auch, was in Frankreich und im Rest der Welt los ist.
Stefanie: Dadurch, dass ich nicht hier im Kamptal großgeworden bin, bin ich vermutlich auch etwas unverblümter an die Sache herangegangen, also ohne in den alten Traditionen zu denken, und war vielleicht auch eher bereit, die alten Grenzen neu auszuloten, weil ich das alles hier ja gar nicht kannte. So entstand eine gute Balance aus dem, was wir in der Welt gesehen haben, und dem, was uns unsere Elternhäuser mitgegeben haben. Das ergab eine gute Mischung aus Ideen- und Gedankenspielen. Obendrein haben wir das große Glück, dass wir denselben Weingeschmack haben, sonst würde unsere Ehe vermutlich nicht funktionieren (beide lachen).
Eure Ersten Lagen von Heiligenstein, Loiserberg und Co zählen jedes Jahr zu den spannendsten Interpretationen des Kamptals. Aber lasst uns auch mal über eure Naturweine, „Entdeckungen aus Langenlois“, sprechen. Was fasziniert euch daran?
Stefanie: Es hat ganz klein als Experiment begonnen, als wir vor 10 Jahren das erste Mal Grünen Veltliner sanft auf der Maische vergoren haben. Es war ein Abenteuer und wir waren von der Vielfalt der Geschmäcker beeindruckt, die im Fruchtfleisch unserer Beeren stecken. Genauso gefällt uns der minimalistische Ansatz und der handwerkliche Aspekt. Wir konnten unseren persönlichen Weinhorizont erweitern und haben gelernt, dass weniger oft mehr bedeuten kann. Ungefiltert und ungeschminkt – Weine im Adam- und Eva-Kostüm, sozusagen.
Alwin: Die ersten Gedanken, Naturwein im Kamptal zu produzieren, haben gleichzeitig mit der Entscheidung der biologischen Bewirtschaftung unserer Weingärten begonnen. Was kann man alles weglassen, um so natürlich wie möglich im Weinbau und im Keller zu arbeiten? Die Arbeit im Weingarten ist nicht weniger, sondern mehr geworden (lacht). Ich hab’ auch gelernt, dass es für mich wichtiger ist, Weinbauer statt Winemaker zu sein. Jeder Wein ist ein Kulturprodukt, deshalb achten wir als Familienweingut seit Generationen auf die Erhaltung der Kamptaler Kulturlandschaft und wollen die Qualität unserer Böden auch für die Zukunft sichern.
Apropos Natur: Welche Beobachtungen habt ihr in den letzten Jahren in euren Weingärten bezüglich der Klimaverschiebung gemacht?
Alwin: Die Statistik zeigt, dass Austrieb und Blüte viel früher stattfinden, auch wenn es Ausreißer gibt wie heuer. 2018 und 2019 hingegen, das war schon extrem – an so etwas können sich meine Eltern nicht erinnern. 2005, als ich in Südfrankreich war, habe ich zum ersten Mal erlebt, wie die besten Weißweine nicht von der Südlage kamen, sondern vom Berg einer Nordlage, während bei uns immer noch die Südlage gepredigt wird. Das waren so Momente, die mich aufgeweckt haben.
Stefanie: Heute reden wir nur mehr in Superlativen: Der heißeste Mai, der trockenste August – das ist die neue Normalität. Da müssen wir als Weinbauern schauen, dass wir ein regulierender Faktor sind. Durch den achtsamen Umgang mit unseren Böden und dem Aufbau von Humus sind wir unabhängiger von Niederschlägen: Ein guter Boden kann das Wasser besser aufnehmen, speichern und bei Trockenheit an die Pflanze abgeben. Durch Begrünung kann ich die Temperatur des Bodens senken und die Wasserverdunstung reduzieren.
Alwin: Trotz Klimawandel ist das Kamptal immer noch eine Cool-Climate-Oase, wo sich elegante Weißweinsorten wohlfühlen. Langfristig werden aber hochgelegene Bergweingärten für mich immer spannender, die auch in warmen Jahren Eleganz und Spannung halten. Vor ein paar Jahren habe ich den ersten Weingarten als Nord-Ost-Lage ausgepflanzt, das wäre früher undenkbar gewesen. Wenn es aber um Sektgrundwein geht, brauche ich Lagen, die spätreif sind und eine geile Säurestruktur erhalten. Wir ernten unsere Trauben reif, aber niemals überreif, da wir in unseren Weinen nicht das Maximum, sondern ein Optimum an Geschmacksvielfalt suchen.
Das Familienweingut habt ihr unter der Bedingung übernommen, es auf biologische Landwirtschaft umstellen zu dürfen. Wie verliefen dieser Generationenwechsel und der Umstieg für euch?
Alwin: Ein Generationenwechsel ist sicher mit die spannendste Zeit im Leben eines Familienweinguts. Ich habe immer die Freiheit gehabt, zu tun und zu lassen, was ich will – irgendwann habe ich aber dann bemerkt, dass es an der Zeit ist, dass ich heim kommen sollte. In meinen Wanderjahren habe ich mir überlegt, wie, wenn ich mal heim kommen sollte, mein Leben aussieht, wenn ich das Weingut übernehme. Das war schon eine Lebensentscheidung. Das Thema Verantwortung habe ich eigentlich erst Jahre später begriffen – was es heißt, Verantwortung zu tragen für das Weingut, für die Weingärten, für Mitarbeiter und die Familie. Für mich war es aber auch ganz klar, dass ich nicht so weiterarbeiten möchte wie meine Eltern – was jetzt aber nicht heißt, dass das Frühere schlechter war, für ihre Zeit war es sicher korrekt und gut. Es ging darum, was sich für Stefanie und mich richtig anfühlt. Und ich glaube, man kann nur ein glücklicher Winzer werden, wenn man seine Ideen umsetzen kann – und nur ein glücklicher Winzer kann gute Weine machen. Meine Grundbedingung an meine Eltern war: Ich komme erst heim, wenn ihr euch in Langenlois ernsthaft Gedanken macht, die Weingärten auf biologische Landwirtschaft umzustellen. Dann ging es eigentlich relativ schnell – sie meinten, wenn ich das will, dann muss ich auch da sein und soll es machen.
Im Endeffekt ist es für ein Familienunternehmen das Wichtigste, dass dieses weitergeht. Mein Vater und seine Brüder waren anfangs große Kritiker. Heute sind sie Anhänger unserer Stilistik, ohne, dass wir sie dazu genötigt hätten. Sie trinken sogar unseren Naturwein. Eine Revolution innerhalb der Familie und im Weingarten ist unklug, aber eine sanfte Revolte tut gut. Ich musste mich in Geduld üben, man kann manches nicht von heute auf morgen ändern. Inzwischen bin ich ein geduldigerer Mensch geworden, das tut auch unseren Weinen gut. Wir arbeiten lieber mit Zeit als mit Technik.
Wie seid ihr denn eigentlich auf den Sekt gekommen?
Alwin: Im Familienarchiv haben wir alte Sektflaschen von meinem Urgroßvater aus 1936 gefunden – ein Schatz, der die ganze russische Besatzungs- und Nachkriegszeit überlebt hat. Wir wollten an diese Tradition anschließen. Also haben wir erstmal „Spionage“-Reisen in die Champagne unternommen. Erst dachten wir: Super, der Papa hat schon Chardonnay gepflanzt und der Opa Pinot Noir, wir machen also die klassisch französische Sortenvielfalt. Dann haben wir gesehen, dass die Sorten an den „besten“ – sprich: wärmsten – Lagen gepflanzt worden sind, um schöne, große Stillweine zu machen.
Stefanie: Wenn man jetzt aber Sekt richtig denkt, dann brauchen wir kühle Lagen und spätreife Trauben, die noch eine schöne Säure haben. So sind wir auf unsere höchstgelegenen Bergweingärten gekommen – da steht kein Pinot mehr, sondern der gute, alte Grüne Veltliner. Nachdem wir sowieso keinen Sortensekt machen wollten, sondern einen, der nach Geologie, Zeit und Herkunft schmeckt, haben wir 2007 begonnen, die ersten Versuche mit Grünem Veltliner nach Champagnermethode zu machen. Nach fünfeinhalb Jahren hatten wir unseren ersten Sekt – Grüner Veltliner Brut Nature, der Würze und Frucht mit Cremigkeit und Straffheit vereint. Wir übten uns in Geduld und merkten, dass die Zeit einen großen Wein macht. Und beschlossen, das jetzt jedes Jahr zu machen.