Tief verwurzelt, rar gesät
Österreichs autochthone Rebsorten
Autor: Gerhard Scholz
Eine Rebsorte gilt dann als autochthon (oder indigen), wenn sie in einem relativ kleinen Bereich der Welt angebaut wird, und zwar dort, wo sie auch entstanden ist. Das schließt schon einmal die meisten französischen Rebsorten aus, die weltweit erfolgreich angebaut werden: Chardonnay und Pinot Noir stammen aus Burgund, wo sie auch fleißig gekeltert werden, zugleich aber werden beide Sorten in den USA, in Neuseeland, in Australien, in Deutschland und eigentlich auch überall anders auf der Welt in allen Facetten kultiviert, sodass man sie selbst in ihrer Heimat nur begrenzt als autochthon bezeichnen würde – und außerhalb erst recht nicht.
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Zur Definition gehört also auch, dass die Sorte nirgendwo so gut gedeiht wie zuhause. Portugal rühmt sich für seine etwa 250 autochthonen Rebsorten mit klingenden Namen wie Amor-não-me-deixes, die sicher großartige Weine hervorbringen können, für die sich aber außerhalb des Landes niemand schert. Anders sieht es zum Beispiel mit der italienischen Sangiovese-Traube aus, deren weltweite Strahlkraft Winzer:innen neidisch in Richtung Toskana schielen lässt, aber bisher sind alle Versuche, mit ihr außerhalb ihrer Herkunft große Weine entstehen zu lassen, gescheitert. Autochthone Sorten zeichnet eben auch aus, dass sie sich über Jahrhunderte hinweg gemeinsam mit ihrem Terroir entwickelt und ihre Ansprüche perfekt an das Zusammenspiel von Klima und Boden angepasst haben.
Grüner Veltliner
Der Evergreen vom Donau-Ufer
Für uns ubiquitär und alltäglich, anderswo als spannender Exot geschätzt, ist der Grüne Veltliner der heilige Gral der österreichischen Autochthonen. Gut, in Tschechien wachsen etwa 2000 Hektar Veltlínské zelené, und auch in den USA wird fleißig mit „Gruner“ experimentiert, aber selbst dort kommt man leichter an eine Flasche Bründlmayer oder F.X. als an eine Flasche aus Virginia, Kalifornien oder Oregon – von der Qualität ganz zu schweigen. Seine faszinierende Einzigartigkeit lässt sich mit seiner Abstammung erklären: Anders als es bei menschlichen Stammbäumen hin und wieder, der Fall ist, war mit dem Traminer lange Zeit der Vater bekannt, während die Spuren der Mutter im Dunkeln lagen. Erst im Jahr 2000 wurde ein einziger über 400-jähriger Rebstock gefunden, dessen burgenländischer Standort der verschollen geglaubten Sorte seitdem als Namensgeber dient: St. Georgen, auch liebevoll Mater Veltlinis genannt.
Gelungene Beispiele, die die Vorzüge des Veltliners gut präsentieren, gibt es hierzulande ohne Ende, und schon mit Exemplaren der gehobenen Mittelklasse lassen sich internationale Weintrinker:innen beeindrucken – ganz besonders, wenn sie so fein und präzise ihre Herkunft widerspiegeln, wie etwa der Glanz & Gloria von Birgit und Gloria Eichinger. Wenn es dann wie beim Ried Frauenweingarten von F.X. Pichler rasant Richtung High-End geht, sorgt die Verbindung von Kraft und Eleganz nicht nur für Langlebigkeit, sondern zweifellos auch für internationale Größe.
Blaufränkisch
Der pannonische Blaublütler
Streng genommen gilt eine Sorte nur dann als autochthon, wenn sie sich natürlich entwickelt hat. Damit wäre Österreichs meistangepflanzte Rotweinsorte, der vom gleichnamigen Önologen gezüchtete Zweigelt, eigentlich aus dem Rennen. Zum Glück haben wir mit dem Blaufränkisch an zweiter Stelle nicht nur ein richtiges Rennpferd im Stall, sondern auch einen waschechten Habsburger ohne problematische Hintergrundgeschichte. Die Forschung geht davon aus, dass die natürliche Kreuzung aus Weißem Heunisch und Blauer Zimmettraube irgendwann vor 1750 entweder in der Thermenregion oder in der Untersteiermark erfolgte, die heute zu Slowenien gehört.
Seit den 1980er Jahren wächst der Weltruhm der Sorte stetig. Ernst Triebaumer ebnete mit seinem Mariental den Weg und erst 2023 stellte eine Jury, bestehend aus den wichtigsten Persönlichkeiten der internationalen Weinkritik, zum allgemeinen Aufatmen einwandfrei fest: Blaufränkisch ist eine große Rebsorte auf Augenhöhe mit Pinot Noir, Nebbiolo und Syrah. Auch wenn diese Message noch nicht im allerletzten Beisl angekommen ist, wird es einem spätestens dann bewusst, wenn man die puristischen Weine vom Eisenberg – beispielsweise den Eisenreich von Krutzler oder den Ried Hummergraben von Wachter Wiesler – mit ihrer überwältigenden Frische und Energie probiert.
Neuburger
Der Wachauer Rebsorten-Moses
Ein absolutes Nischendasein fristet dagegen der Neuburger. Die Legende will es, dass zwei Wachauer Winzer um 1860 ein Rebbündel aus der Donau fischten, auspflanzten und ab 1872 bereits ihren Wein ausschenkten. An diese Begebenheit erinnert zwar ein Denkmal, aber ob sie wirklich die Geburtsstunde des Neuburgers in Österreich markiert, ist fraglich. Fest steht jedenfalls, dass die Anbaufläche in Österreich (und damit weltweit) viel zu klein ist und sich in erster Linie auf ein paar hundert Hektar in der Thermenregion und am Leithaberg beschränkt, wo die Sorte für den weißen Leithaberg DAC zugelassen ist, wie ihn Michael Kirchknopf aus 40-jährigen Reben mit Bravour herstellt.
Dass einer der beiden Winzer-Fischer, die damals das Neuburger-Mosesbündel an Land zerrten, ein Vorfahr der Geschwister Mantler ist, brachte die Sorte schließlich aber auch an den Mantlerhof ins Kremstal, wo Agnes und Josef Mantler mit dem Neuburger Hommage einen sensationellen Wein daraus keltern, der sortentypisch mit reifem Fruchtkern und milder Säure aufwartet und bei guter Lagerung mit der Zeit feine nussige Noten hervorbringt.
Rotgipfler & Zierfandler
Das Power Duo der Thermenregion
Wer Rotgipfler sagt, muss auch Zierfandler sagen. Außerhalb von Gumpoldskirchen quasi nicht existent, wartet der Geheimtipp für Eingeweihte mit extraktreichem Charakter, Kraft und cremiger Konzentration auf. Die Weine reifen bei entsprechender Qualität exzellent und sind blind nur schwer voneinander zu unterscheiden, was vor allem daran liegt, dass sie beide vom Roten Veltliner und einer Traminersorte abstammen, genetisch also fast ident sind. Der Zierfandler ist der etwas prominentere der beiden Brüder und wird von Bernhard Stadlmann auf Topniveau vinifiziert. Georg Schneider erzeugt auf der Ersten Lage Ried Tagelsteiner einen erstklassigen Rotgipfler, dessen kraftvolle Struktur den Sortencharakter idealtypisch einfängt.
Roter Veltliner
Der Wagramer Underdog
Angesichts dessen, wie rar auch der Rote Veltliner ist, haben wir bei WEIN & CO ein stattliches Sortiment vorzuweisen. Daran merkt man, wie sehr wir die Stammsorte der Veltliner-Familie – zu der der Grüne Veltliner nicht gehört – lieben. Qualitativ ist sie nämlich über jeden Zweifel erhaben: Die mitunter ganz schön kräftigen Weine, die inzwischen fast nur noch am Wagram entstehen, zeigen herrlich reife Fruchtnoten, die gern ins Tropische spielen, bewahren aber unter den Händen von Profis trotzdem ihre Frische und Präzision. Top-Weine wie Karl Fritschs Ried Steinberg werden mit hohen Punkten ausgezeichnet und Josef Fritz’ Ried Mordthal demonstriert, wie exquisit sie reifen können.
Übrigens wurde der Rote Veltliner noch vor wenigen hundert Jahren auch in Deutschland, Slowenien, der Schweiz und Norditalien angepflanzt. Auch wenn seine Wurzeln wahrscheinlich in Österreich liegen, ist das lombardische Valtellina (Veltlin) immerhin namensgebend für die Sorte. Dort wird jetzt nebenbei erwähnt in sensationeller Qualität die große autochthone Sorte Nebbiolo angebaut, mit der ebenfalls bislang nur in Italien wirkliche Spitzenqualitäten erreicht werden.
Wer weiß, vielleicht ändern sich die Moden und auch der Anbau von Pinot Noir und Chardonnay schrumpft irgendwann wieder zurück auf seine Herkunft in Burgund. Dann könnte man auch dort wieder von autochthonen Geheimtipps sprechen. Bis dahin genießen wir roten Veltliner und Rotwein aus dem Veltlin.
Österreichs autochthone Rebsorten
auf einen Blick